Interview mit einem Betroffenen
OC: Hallo Herr BL und willkommen bei uns im Institut für Gesundheit in Organisationen! Wir möchten uns bei Ihnen für Ihre Bereitschaft bei dem Interview mitzumachen bedanken und hoffen, dass viele unserer Leser, die vielleicht auch von Burnout betroffen sind, in dem Interview viele nützliche Anregungen finden werden.
Herr BL, zunächst würde ich Sie bitten, sich kurz vorzustellen.
BL: Hallo Frau Cociu und vielen Dank für die Einladung. Ich heiße BL, bin 45 Jahre alt und arbeite im industriellen Bereich sowie im aktuellen Unternehmen seit etwa 7 Jahren.
OC: Wie lange ist es her, seit bei Ihnen das Burnout Syndrom aufgetreten ist?
BL: Das war vor etwa 6 Jahren.
OC: Das scheint auch bei einem Wendepunkt in Ihrem Leben gewesen zu sein, also kurz nachdem Sie sich beruflich neu orientiert haben und entspricht eigentlich zu 100 Prozent den theoretischen Modellen zur Entstehung von Burnout… Nach Freudenberger gibt es bei Burnout einen 12-Stufen-Modell: Danach erkranken Personen häufig an Burnout bei Wendepunkten im Leben, wie zum Beispiel beim Studienanfang, Berufseintritt, Tätigkeitswechsel, usw. In dieser Zeit verspüren Personen einen erhöhten Zwang sich zu beweisen und setzen sich dementsprechend sehr hohe und unrealistische Ziele. Da die unrealistisch hohen Ziele nicht erreicht werden können, entstehen Enttäuschung und Frustration. Häufig versuchen die Personen dies auszugleichen, indem sie noch mehr Energie in die Arbeit investieren und die eigenen Bedürfnisse (bspw. Entspannung oder Schlaf) anfangen zu ignorieren. Dies führt zu einem Teufelskreis der Leistungseinbußen und des vermehrten Energieeinsatzes, bei Ignorierung der eigenen Bedürfnisse. In dieser Zeit können auch im sozialen Bereich Konflikte entstehen, da Betroffene den Eindruck haben, für Familie und Freunde keine Energie mehr übrig zu haben und sich zunehmend sozial isolieren. Nach wiederholten Misserfolgserlebnissen, einer ansteigenden Einsamkeit und zunehmender Erschöpfung hören die Betroffenen auf, den Sinn ihrer Arbeit zu erkennen. Folgen dessen sind innere Leere, Energielosigkeit, Lustlosigkeit, Depressivität – klassische Anzeichen eines Burnout-Syndroms. Was meinen Sie Herr BL, ist das Burnout Syndrom bei Ihnen ähnlich entstanden?
BL: Das war nicht nur ähnlich, sondern 1 zu 1 so wie Sie es gerade beschrieben haben. Ich kann das sogar unterstreichen!
OC: Was denken Sie, welche bei Ihnen die Hauptauslöser für Burnout waren?
BL: Die berufliche Neuorientierung, die auch mit neuen Anforderungen verbunden war, die hohe Verantwortung, die ich für verschiedene Arbeitsprozesse hatte, die Tatsache, dass meine Entscheidungen sehr hohe finanzielle Gewinne oder Verluste für das Unternehmen zur Folge haben konnten, der ständige Leistungs- und Zeitdruck sowie die Tatsache, dass unsere Unternehmensleitung Konflikte und Mobbing am Arbeitsplatz einfach ignoriert hatte.
OC: Wie äußerte sich Burnout bei Ihnen bzw. was waren die ersten Warnsignale, dass etwas nicht stimmte?
BL: Das fing damals damit an, dass ich nicht mehr schlafen konnte… Ich hatte Probleme mich zu konzentrieren, fühlte mich sehr schnell überfordert und sogar die einfachsten Dinge, die ich sonst mit links erledigt hätte, waren auf einmal langwierig und zäh. Ich stand auch die ganze Zeit unter Druck, sodass die Anspannung immer schlimmer wurde.
OC: Wie sah es dann bei Ihnen im privaten Bereich aus?
BL: Ich hatte sonst immer im Haushalt mitgeholfen und hatte viel unternommen, aber nach einer Zeit hatte ich auch in meiner Freizeit nichts mehr gemacht. Ich wurde sozusagen vom gutmütigen Menschen zum Ignorant. Ich konnte mich nach der Arbeit nicht mehr auf meine Familie freuen und hatte meine Kinder nur noch als Überfallkommando wahrgenommen. Es war mir alles zu viel und daran ist auch meine Ehe kaputt gegangen. Ich hatte an nichts mehr Spaß und es kam so weit, dass ich sogar mein Leben in Frage gestellt hatte.
OC: Wie lange hat es dann gedauert, bis das Burnout Syndrom bei Ihnen diagnostiziert wurde und Sie sich in Behandlung begeben haben?
BL: Nach etwa einem Jahr hatte ich einen Nervenzusammenbruch. Daraufhin wurde ich direkt in eine Klinik eingewiesen.
OC: Wurde die Diagnose von dem Hausarzt gestellt oder wurden Sie an jemanden anderen überwiesen?
BL: Ja, das war bei meinem Hausarzt.
OC: Viele Personen finden es extrem kritisch, dass die Wartezeiten, bis man einen Termin bei einem Psychotherapeuten bekommt oder eingewiesen wird, häufig sehr lang sind. Wie lange hatten Sie auf den Anfang der Therapie warten müssen?
BL: Das ging bei mir ganz schnell. Aufgrund der akuten Suizidgefährdung wurde ich sofort eingewiesen.
OC: Wie sah die Therapie dann aus? Über welchen Zeitraum erstreckte sie sich und was hat sie genau beinhaltet?
BL: Die Therapie ging über 3 Monate und war sehr vielfältig gestaltet: Es gab eine Gesprächstherapie, viele Maßnahmen und Übungen zur Entspannung, sportliche Aktivitäten, Kunsttherapie, Arbeitstherapie, aber auch Gruppengespräche.
OC: Was meinen Sie genau mit einer „Arbeitstherapie“?
BL: Da ging es darum, erst einmal einen heißgelaufenen Motor wieder herunter zu kühlen, Bewusstsein dafür zu schaffen, was einem gut tut und was nicht, die eigene Wahrnehmung bezüglich der Arbeit zu ändern, zu lernen, wie man sich realistische Ziele setzt, mit dem Druck besser umgeht und wieder auf die eigenen Bedürfnisse zu achten.
OC: Die Gruppentherapie war bestimmt auch sehr hilfreich, um zu realisieren, dass man nicht alleine ist und dass es noch so viele andere Personen gibt, die das gleiche durchmachen.
BL: Das war es auf jeden Fall! Bei uns im Unternehmen hieß es immer „bei uns gibt es kein Mobbing und es gibt kein Burnout“… was jedoch der Realität leider nicht entsprach. In der Gruppentherapie hatte ich zum ersten Mal gemerkt, dass es noch sehr viele andere gibt, die das gleiche wie ich erlebt haben.
OC: Da wird es auch deutlich, dass Burnout keineswegs ein persönliches Scheitern darstellt, sondern vielmehr auch mit ungünstigen Arbeitsbedingungen und mit dem Unternehmensklima etwas zu tun hat… Aber was würden Sie sagen, wie wirksam oder wie nützlich die Therapie gewesen ist?
BL: Die Therapie war sehr gut. Sie hat auch langfristig etwas gebracht und ich habe viel zum Umgang mit Belastungen gelernt.
OC: Haben Sie auch weiterhin die Entspannungstechniken angewendet?
BL: Nein, das nicht, aber ich habe einfach gelernt, besser darauf zu achten, was mir gut tut und was nicht…
OC: Also auch wieder auf den eigenen Körper hören… Was würden Sie aber sagen, wie schwierig war es, nach der Therapie wieder in den Arbeitsalltag hereinzukommen?
BL: Die Arbeit an sich war nicht schwierig, ich hatte sofort meine Position innerhalb des Unternehmens gewechselt und erst einmal einen Gang zurück geschaltet.
OC: Wie hatten Ihre Arbeitskollegen und die Führungskräfte nach Ihrer Rückkehr auf Sie reagiert? Hatten Sie sich stigmatisiert gefühlt?
BL: Es hat keiner irgendwie was gesagt und ich hatte den Eindruck, dass Sie mich vermeiden. Alle wussten was los war, doch keiner hat es angesprochen. Ich hätte mir auf alle Fälle Gespräche im größeren Umfang gewünscht. Vor allem in einer eher dörflichen Gegend war das ziemlich kritisch.
OC: Was denken Sie, was in Unternehmen grundsätzlich geändert werden müsste, damit es weniger häufig zu Burnout kommt und damit auch besser umgegangen wird?
BL: Die Arbeitsbedingungen sollten auf jeden Fall so gestaltet werden, dass die psychische und körperliche Gesundheit der Mitarbeiter dabei nicht gefährdet wird. Und die Führungskräfte sollten geschult werden, wie Sie mit psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz umgehen, wie sie die ersten Warnzeichen erkennen und wie sie ihre Mitarbeiter unterstützen können, denn einfach wegschauen macht es nur schlimmer. Es sollte auch klar sein, welche Ansprechpartner man im Unternehmen für solche Themen hat und an wen man sich dann wenden kann.
OC: Können Sie Personen irgendwelche Tipps geben, die genau die gleiche Situation durchmachen wie Sie damals?
BL: Sie sollten auf alle Fälle mit anderen Personen darüber sprechen. Sie werden dabei ziemlich schnell merken, dass man kein Einzelfall ist und dass es noch so viele andere Menschen gibt, die in der gleichen Situation stecken… Sie sollten auch versuchen, sich regelmäßig Zeit für sich zu nehmen und durch Entspannung neue Kraft zu schöpfen. Nicht zuletzt sollten Sie sich professionelle Hilfe holen. So können Sie die Situation entschärfen, bevor alles noch schlimmer wird. Und vor allem sollten Sie sich von all den Dingen befreien, die Ihnen nicht gut tun – egal was das ist…
OC: Herr BL, ich bedanke mich nochmal ganz herzlich dafür, dass Sie bei unserem Interview mitgemacht haben! Ich denke, sowohl Beschäftigte als auch Führungskräfte und Personalverantwortliche können sich Ihre Anregungen und Tipps zu Herzen nehmen, um die Arbeit wieder zu etwas Positivem zu verwandeln.
BL: Sehr gerne!